Im Fokus des Projektes stehen Veränderungen der seit den 20er Jahren zutiefst kosmopolitisch und international ausgerichteten Produktion populärer Musik in Zeiten diktatorischer Kulturpolitik, Exil und Verfolgung. Mit dem Forschungsprojekt „PopPrints“ zur Produktion populärer Musik im Deutschland und Österreich der 1930er bis 1950er Jahre werden Schlager, Revuen, Operetten und Musikfilme der Zwischen- bis Nachkriegszeit umfassend und nicht nur fokussiert auf die musikalische Komposition und die Textdichtung in den Blick genommen. Die musikwissenschaftlichen Arbeitsbereiche der Universitäten Greifswald und Salzburg haben das Projekt gemeinsam mit der Anton Bruckner Privatuniversität Linz bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und dem Österreichischen Wissenschaftsfonds (FWF) eingeworben.
Bisher umgibt die populäre Musik während des Nationalsozialismus und Austrofaschismus das Paradox, dass Schlager, Operette, Revue und Musikfilm einerseits als besonders anfällig für populistische und propagandistische Infiltrationen, andererseits aber auch als stark markt- und publikumsorientiert wahrgenommen werden. Seit den 1920er Jahren hatten die genannten Musikgenres zudem einen großen Anteil an der Internationalisierung der Musikwelt, die sich in einer kosmopolitisch ausgerichteten Verwertung von Songs und Filmmusiken durch Notenausgaben, Sheet Music, Schallplattenaufnahmen und das Radio äußerte. Daran anschließend wird im Projekt erforscht, wie sich Theater-, Tanz- und Jazzsongs und andere Formen populärer Musik im Rahmen diktatorischer Kulturpolitik entwickelten und veränderten: Welche Positionierungen innerhalb sozialer (Ethnizität oder Klasse betreffender, sexueller, geschlechtlicher) oder stilistischer Fragen nahmen die Songs ein und auf welche Weise wurden ihre politischen Einschränkungen dort verhandelt? Und welche Rolle spielten internationale Anklänge an den nordamerikanischen Swing, südamerikanische Tanzstile oder an afro-karibische populäre Musik in Songs und Musiktheaterstücken, die in den 1930er bis 1950er Jahren in Deutschland und Österreich aufgeführt wurden?
Einen zentralen Ausgangspunkt für die musikwissenschaftliche Quellenrecherche und -analyse bilden gedruckte und veröffentlichte Quellen, die heute in Verlags- oder Staatsarchiven sowie in Komponistennachlässen eingesehen werden können, aber lange Zeit unzugänglich waren. Umfassende Notensammlungen und angrenzende Archive geben Einblicke in Repertoire, Marketing- und Zielgruppenstrategien sowie in die medialen Netzwerke, in denen populäre Musik produziert, rezipiert, konsumiert und verbreitet wurde – zwischen Aufführung auf der Musiktheater- und Konzertbühne, in gedruckten Noten, im Musikfilm sowie auf Tonträgern. Interessant sind schon die Titelbilder der Einzeldrucke beliebter Songs wie Lili Marleen oder Dein ist mein ganzes Herz und Potpourris aus Schlagern, Tonfilm- oder Tanzteemelodien wie Das Wunschkonzert. Dort ist eine große und vielfältig vernetzte Variabilität an Inszenierungen einzelner Interpretinnen und Interpreten und Textinhalte zwischen internationalem Kolorit, schlichter Aufmachung, offensiven Bildprogrammen und Filmästhetik zu erkennen.
Das Projekt besteht aus fünf Teilprojekten, die sich mit der Musikverlagsindustrie, der Musikfilmproduktion, der Songproduktion, dem Musiktheater und den Inszenierungen des Körpers beschäftigen. Eine internationale Konferenz und zwei Workshops erweitern den internen Forschungsdiskurs durch die Perspektiven international renommierter Spezialistinnen und Spezialisten.
Ab April 2024 erforscht das knapp zehnköpfige Team für drei Jahre historische Quellen aus den Bereichen Musikverlag, Musiktheater, Musikfilm und musikalische Interpretation. Im Zentrum steht die Erschließung noch nicht gesichteter Archivbestände und Nachlässe, darunter im Archiv der österreichischen Verwertungsgesellschaft AKM („Autoren, Komponisten und Musikverleger“), u.a. an der Anton Bruckner Privatuniversität Linz, im Archiv des Verlags Dreiklang-Dreimasken von Universal Music in Berlin und in der Musiktheatersammlung des Landesarchivs Mecklenburg-Vorpommern in Schwerin.
Weitere Informationen: http://popprints.eu
Karoline Jirikowski-Winter