Worum geht es?
Das Nikolaus Harnoncourt Zentrum (NHZ) macht es sich zur Aufgabe, das Harnoncourtsche Universum der Nachwelt zugänglich zu machen, indem sein über sieben Jahrzehnte angelegtes Archiv digitalisiert, auf der website www.harnoncourt.org ab 6. Dezember 2024 veröffentlicht wird und so zum Forschen und Diskutieren einlädt. Das Ziel ist nicht nur ein musikwissenschaftliches Forschungszentrum, sondern sein Alleinstellungsmerkmal spiegelt sich in der interdisziplinären Arbeit als Forum für Bildung wider. Das NHZ sieht sich als „Fackelträger“ der Harnoncourtschen universellen Gedankenwelten und wagt die Betrachtung größerer Zusammenhänge der Entwicklung der letzten Jahrhunderte, um einen Ausblick auf die Zukunft zu wagen. Die kultur-philosophische Denkwerkstatt wird Persönlichkeiten unserer Zeit zur Auseinandersetzung mit den aktuell brennenden gesellschaftlichen Themen einladen. Junge Musiker*innen ergründen für sich den Sinn und die Inspiration ihres Musizierens um ihren Weg zu finden. In Summer Schools werden Harnoncourts Wegbegleiter seine Findungswege und Inhalte den Studierenden weitergeben.
Die Geistesbildung der Jugend, deren Entwicklung er mit großer Sorge betrachtete, war ihm zeitlebens ein besonderes Anliegen. Das NHZ setzt gemeinsam mit der Landesmusikschule in St. Georgen im Attergau das Pilotprojekt Auftrittspraktikum als Jugendförderung im Sinne Nikolaus Harnoncourts um.
Was ist das Archiv?
Bisher konnten Zuhörer, Interessierte, Musiker*innen und Musikwissenschaftler*innen die musikalischen Intentionen Nikolaus Harnoncourts nur in der Momentaufnahme eines Konzerts und an Hand von Aufnahmen erkennen oder mit Hilfe seiner Bücher tiefer in seine Gedankenwelten eindringen. Jedoch drückt sich dessen Fähigkeit zur musikalischen Darstellung von Musik noch deutlicher in seinen schriftlichen Anmerkungen und Annotationen in den Partituren und Aufführungsmaterialien aus, die besondere Einblicke in den künstlerischen Gestaltungswillen und umfassende Hintergrundinformation eröffnen.
Nikolaus und Alice Harnoncourt haben seit dem Beginn ihrer Arbeit 1949 systematisch ein Archiv auf Holzregalen angelegt, welches bis heute stetig auf ca. 120 Regalmeter angewachsen ist.
Am Beginn mussten die Noten von Manuskripten oder Microfilmen in Bibliotheken und Archiven händisch abgeschrieben und Orchesterstimmen angefertigt werden, nur um sie überhaupt durchspielen und damit bewerten zu können, ob sie ins Konzertprogramm Aufnahme finden werden.
In der Reihe der annotierten Partituren Nikolaus Harnoncourts liegt der Schwerpunkt auf Werken von Johann Sebastian Bach, Wolfgang Amadeus Mozart, Joseph Haydn, Ludwig van Beethoven, Anton Bruckner oder Johann Strauss, aber auch Jacques Offenbach, Giuseppe Verdi, Antonin Dvorak, Johannes Brahms, Robert Schumann, Béla Bartók und natürlich die meisten Barock-Komponisten, von denen er einige überhaupt der Vergessenheit entrissen hat wie Heinrich Ignaz Franz Biber, Johann Heinrich Schmelzer und Georg Muffat.
Musik und Literatur treten einem aber auch unmittelbar aus dessen Nachlass entgegen. Zahlreiche Musikalien verschiedenster Gattungen, die er nie aufführen sollte, sowie Manuskripte und Notizen seines musikliterarischen Schaffens und Unterrichts sind darin enthalten.
Das Archiv ist heute auf eine umfangreiche Sammlung angewachsen, die das gesamte Schaffenswerk dokumentiert:
- Notenmaterial (Partituren, Orchestermaterial, Kopien von Manuskripten und andere Primärquellen)
- (annotierte Bücher) der musikalischen Handbibliothek
- Sekundärliteratur (Programmhefte, Kritiken, Skizzen, Korrespondenzen, Repertoirelisten, Aufführungslisten, Dirigierzettel, Konzepte, Gedanken, Unterrichtsmaterial, Probenpläne, Vorträge, Interviews, Fotos, etc.)
- audio-visuelles Material (alle kommerziellen Aufnahmen aller Formate, Radio- und TV-Beiträge, Interviews, Vorlesungen, nicht-veröffentlichte Konzert- und Probenmitschnitte)
Nimmt man sich die von Harnoncourt eingerichtete Partitur eines Werkes vor, um seine Gedanken und Schwerpunkte nachlesen und erfassen zu können, so wird das Werk mit einer Vielzahl von Material dazu ergänzt: Skizzen, Besetzungsideen, Konzepte, Sekundärliteratur zum Werk oder seinem Komponisten, Manuskripte, Briefe, Primärquellen, welche alle zur Auseinandersetzung Harnoncourts mit dem Werk beitrugen. Dazu gibt es Material, das um die Aufführung des Werkes und deren Rezeption kreist: Presseinterviews, Ankündigung über die Medien, aktuelle Berichterstattung, Tourneepläne, Programmhefte, Aufführungszettel, Probenpläne, Korrespondenzen, Fotos, Kritiken, oftmals einen Mitschnitt der Aufführung für Radio, TV, DVD oder CD.
Die meisten aufgeführten Werke im Archiv sind auf diese Weise vom Interpretationsansatz bis zum Tonträger recht lückenlos dokumentiert und nachvollziehbar.
Die große Zahl der Aufnahmen, Programme, Rezensionen, Auszeichnungen und Preise zeugt nicht nur von der hohen Wertschätzung des Künstlers, die er sich über Jahrzehnte erst erarbeiten musste, sie vermittelt auch ein anschauliches Bild der radikalen Erneuerung der Interpretation Alter Musik in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Das Nikolaus Harnoncourt Zentrum lädt alle Interessierte und Suchende herzlich ein, sich mit künstlerischen, philosophischen und wissenschaftlichen Anfragen an uns zu wenden. Auch für Ihre Abschluss- oder Doktorarbeit haben wir reichhaltiges Material!
Ausstellung "Musik ist eine Sprache" an der Bruckneruni
Nikolaus und Alice Harnoncourt stehen im Mittelpunkt des erstmaligen Einblicks in ihr Archiv, ihre Sammlung, ihr Lebenswerk. Nicht chronologische, sondern thematische Schwerpunkte laden zum Nachdenken ein – ganz im Sinne der Schöpfer. Der Beginn des Concentus Musicus und die erste Radikalität des Originalklangs sind ebenso zu erleben wie die vielfältige Rolle Alice Harnoncourts. Die unterschiedlichen Interpretationen der Matthäus- Passion über die Jahrzehnte und die Arbeitsweise Nikolaus Harnoncourts zeigen beispielhaft die permanente Weiterentwicklung. Aber auch der Verbindung zu St. Georgen im Attergau, dem alten Pfarrhof als Familiendomizil samt der umfangreichen Instrumentensammlung widmet sich die Ausstellung, die auch die Gedankenwelt Harnoncourts sichtbar macht.
Die Ausstellung ist vom 21. Oktober bis 6. Dezember 2024 (Nikolaus Harnoncourts 95. Geburtstag) im Foyer der Bruckneruni zu sehen. Der Eintritt ist frei.
ABSAGE Die 2. kultur-philosophische Denkwerkstatt
Soeben erreicht uns die Nachricht, dass Peter Sloterdijk wegen einer akuten Erkrankung absagen muss. Da dieser Gast und dieses Thema einzigartig sind, werden wir die Veranstaltung verschieben und für 21.11.24 absagen.
Informationen zur ursprünglich geplanten Veranstaltung: Anlässlich des UNESCO-Welttages der Philosophie und in Kooperation mit der Langen Nacht der Philosophie in Österreich findet unsere zweite kultur-philosophische Denkwerkstatt am 21. November 2024, 19.00 Uhr in der Landesmusikschule St. Georgen im Attergau statt.
Der Kurator der Denkwerkstatt Florian Boesch spricht mit Philosoph Peter Sloterdijk zum Thema: „Investigatives Singen und der poetische Beweis“
Florian Boesch, Kurator der Denkwerkstatt: „Alles was überhaupt gedacht werden kann, kann klar gedacht werden. Alles was sich aussprechen lässt, lässt sich klar aussprechen. Vieles was gesagt werden kann, kann poetisch gesagt werden. Manches kann überhaupt nur poetisch gesagt werden. Und worüber man nicht sprechen kann, darüber kann man singen.“
Nikolaus Harnoncourt: „Die Kunst ist eine andere Sprache, immer jenseits des Praktischen, vielfach jenseits des Logischen; eine ihrer Denkgrundlagen ist die Phantasie, vielleicht das „Denken des Herzens“ wie es Pascal der Logik, dem „arithmetischen“ Denken gegenüberstellt.“
Rückblick auf die Eröffnung am 3. Mai 2024
Bei einem feierlichen Festakt in Anwesenheit von Herrn Landeshauptmann Mag. Thomas Stelzer und zahlreicher internationaler wie nationaler Prominenz aus Kultur, Politik und Wirtschaft wurde das Nikolaus Harnoncourt Zentrum an der Anton Bruckner Privatuniversität in der Landesmusikschule St. Georgen im Attergau am 3. Mai 2024 eröffnet. Im Rahmen des Festakts fand auch die Vernissage der von Marie-Theres Arnbom kuratierten Ausstellung „Nikolaus und Alice Harnoncourt: Musik ist eine Sprache“ statt.
Grußworte von Landeshauptmann Mag. Thomas Stelzer, Dr. Othmar Karas, erster Vizepräsident des Europäischen Parlaments, Friedrich Mayr-Melnhof, Bürgermeister von St. Georgen im Attergau, Martin Rummel, Rektor der Bruckner Universität sowie Mag. Dr. Franz Harnoncourt und eine Keynote von Philosoph Wolfram Eilenberger unter dem Titel „Was ist Arbeit? Die Bedeutung von Kunst und Kultur als Arbeit für die Gesellschaft“ setzten beim Festakt inspirierende Akzente. Musikalisch umrahmt wurde dieser mit Werken von Haydn und Bach, dargeboten vom Querflöten-Ensemble der Klasse Elisabeth Tavernaro der Landesmusikschule St. Georgen i.A. sowie von Ulli Engel (Viola), Christoph Engel (Violoncello) und Max Engel (Baryton). Die Feierlichkeiten fanden zum Start der 5. Harnoncourt-Tage (von 3. – 5. Mai) statt.